Beschluss (EU) 2021/534 relativiert "Integration der Sicherheit"

Beschluss (EU) 2021/534 relativiert "Integration der Sicherheit"

Die Untersagung des Inverkehrbringens eines von dem spanischen Hersteller Orona hergestellten Aufzugsmodells durch die deutsche Marktüberwachung war nicht gerechtfertigt. Zu dieser Auffassung gelangte die EU-Kommission in einem Schutzklauselverfahren nach Artikel 39 der Aufzugsrichtlinie 2014/33/EU und hat dies in einem entsprechenden Beschluss im EU-Amtsblatt veröffentlicht:

BESCHLUSS (EU) 2021/534 DER KOMMISSION
vom 24.März 2021
zur Feststellung gemäß Artikel 39 Absatz 1 der Richtlinie 2014/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, ob eine Maßnahme Deutschlands im Hinblick auf die Untersagung des Inverkehrbringens eines von Orona hergestellten Aufzugsmodells gerechtfertigt ist oder nicht

Die Marktüberwachungsbehörde hatte das Inverkehrbringen des Aufzugs untersagt, da die Höhe des Schachtkopfes gegenüber der entsprechenden harmonisierten Norm auf die Hälfte reduziert wurde und damit nicht dem geforderten Stand der Technik entspricht. Die herstellerseitigen alternativen Maßnahmen wurden nicht als gleichwertig akzeptiert.

Die EU-Kommission kommt in dem Schutzklauselverfahren auf Grund der vom Aufzugshersteller getroffenen Sicherheitsmaßnahmen allerdings zu dem Schluss, dass der Orona-Aufzug sicherheitstechnisch mindestens gleichwertig ist mit einem Aufzug, welcher der harmonisierten Norm entspricht. Dabei werden nachrangige Schutzmaßnahmen als Ersatz für die konstruktive Sicherheit akzeptiert. Ein offensichtlicher Verstoß gegen die zwingenden "Grundsätze für die Integration der Sicherheit", die auch nach der Aufzugsrichtlinie gelten.

Der Beschluss der EU-Kommission lässt zumindest Fragen offen. So wurde der Orona Aufzug mit einem Aufzug nach der EN 81-1 verglichen und hier auch nur in Hinblick auf die Bremsanlage. Zu diesem Zeitpunkt war diese Norm aber bereits mit einem Ablaufdatum versehen und die Nachfolgenorm EN 81-20 schon harmonisiert. Die EN 81-1 hatte seinerzeit insofern wohl eher nicht dem in der Richtlinie geforderten Stand der Technik entsprochen.

Dieser EU-Beschluss ist für den betroffenen Hersteller sicherlich ein Grund zum "Jubeln", für die Sicherheit von Aufzügen eher nicht. Der reduzierte Überlebensraum von 0,5 m × 0,7 m × 1 m (Höhe × Breite × Länge) klingt nicht so, dass man erpicht sein sollte, sich im Gefahrfall darin in Sekundenschnelle zurückziehen zu müssen. Ein Standardsarg hat mehr als doppelt so viel Platz!

Wir werden weiterhin über das Verfahren berichten.

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EU-Marktüberwachungs-VO: Leitlinien zu Artikel 4

Mit unseren MBT-Informationen vom 12. Januar d.J. hatten wir Sie darauf hingewiesen, dass die europäische Marktüberwachungsverordnung (EU) 2019/1020 (MÜVO) in ihrem Kapitel II (Artikel 4 ff) zusätzliche Anforderungen an das Inverkehrbringen auch für die Produkte festlegt, die unter den Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie fallen. Diese Anforderungen greifen ab dem 16. Juli 2021.

Siehe hierzu in unserer Rubrik "Verantwortliche Personen":

Wirtschaftsakteure nach EU-Marktüberwachungs-Verordnung: Zusätzliche Anforderungen zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG

Die EU-Kommission hat nunmehr zu Artikel 4 der MÜVO Leitlinien veröffentlicht. Siehe:

Leitlinien für Wirtschaftsakteure und Marktüberwachungsbehörden zur praktischen Umsetzung von Artikel 4 der Verordnung (EU) 2019/1020 über Marktüberwachung und die Konformität von Produkten

Die EU-Kommission weist in den Leitlinien ausdrücklich darauf hin, dass ab dem 16. Juli 2021 nur noch Produkte, die in den Geltungsbereich von Artikel 4 der MÜVO fallen, in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sichergestellt ist, dass es einen entsprechenden Wirtschaftsakteur gibt. Zu diesen Produkten zählen auch Produkte im Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG.

Fernabsatz
Nicht angesprochen wird in den Leitlinien, wer Wirtschaftsakteur in der EU sein soll, wenn ein Produkt von einem außer-europäischen Hersteller oder Händler im Internet für einen Endnutzer in der EU angeboten wird (MÜVO: Artikel 6 "Fernabsatz"). Es gilt nach der MÜVO mit diesem Internetangebot ja bereits als "in Verkehr gebracht". Weil man aber ein Produkt, dass bereits in der EU in Verkehr gebracht ist, nicht einführen kann, gibt es ergo auch keinen Einführer. Faktisch läuft damit Artikel 4 der MÜVO für solche Produkte leer. Deutlich wird dieses Problem auch durch die Graphik in den Leitlinien im "Kasten 1", die diesen Fall nicht behandelt.

Man kann allerdings auch die Auffassung vertreten, dass Artikel 6 der MÜVO über deren Artikel 4 ausgehebelt wird. Nach Artikel 4 dürfte der Online-Anbieter nämlich sein Produkt nur dann für den EU-Endnutzer im Internet anbieten und damit "auf dem Markt bereitstellen", wenn er im Sinne von Artikel 4(4) gleichzeitig einen verantwortlichen Wirtschaftsakteur angibt und zwar mittels der dort genannten Verpflichtungen. Diesen Verpflichtungen kann er aber im Rahmen eines Online-Angebotes nicht nachkommen.

Eine rechtskonforme Lösung für den Fernabsatz ist in der MÜVO nicht erkennbar. Ob der EU-Rechtssetzer diese Zusammenhänge erkannt hat, kann bezweifelt werden.

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CE für einen Schaltschrank als Bestandteil einer (unvollständigen) Maschine erforderlich?

Muss ein Schaltschrank, der als Bestandteil einer unvollständigen Maschine bzw. vollständigen Maschine in den Verkehr gebracht wird, mit der CE-Kennzeichnung nach der Niederspannungsrichtlinie und der EMV-Richtlinie versehen werden?

Siehe hierzu unsere FAQ:

CE für einen in eine (unvollständige) Maschine integrierten Schaltschrank erforderlich?

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Wartungsanleitung immer mitliefern?

Der Maschinenhersteller kann sich nach Anhang I, Nr. 1.7.4 vorbehalten, bestimmte Wartungsarbeiten selbst zu übernehmen und muss diese in der Betriebsanleitung dann nicht übersetzen. Ausgehend davon wird interpretiert, dass Wartungsanleitungen für das Herstellerfachpersonal dann auch nicht im Umfang der vom Hersteller zusammen mit der Maschine zu übergebenden Betriebsanleitung enthalten sein müssen. Nur, ist diese Interpretation zutreffend?

Siehe hierzu:

Grenzen der Wartungsanleitung

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"Alten" Ökodesign-Motor in neue Maschine integrieren: Zulässig?

Ab dem 1. Juli 2021 muss die Verordnung (EU) 2019/1781 der Kommission (Festlegung von Ökodesign-Anforderungen an Elektromotoren und Drehzahlregelungen gemäß der Richtlinie 2009/125/EG in Verkehr) angewendet werden.

Wie ist ein Motor zu behandeln, der vor diesem Datum in Verkehr gebracht wird und dann in eine Maschine eingebaut, die erst nach dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2019/1781 in Verkehr gebracht wird? Ist dies zulässig, oder muss beim Bau der neuen Maschine ein Motor verwendet werden, der der Verordnung (EU) 2019/1781 entspricht?

Siehe hierzu unsere FAQ:

Alter Motor in neuer Maschine möglich?

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Marktüberwachungsgesetz

Die Bundesregierung hatte am 10. Februar 2021 einen Entwurf für ein Gesetz zur Neuordnung der Marktüberwachung -Marktüberwachungsgesetz- beschlossen. Siehe hierzu die Drucksache des Bundestags 19/28401 vom 13.4.2021. Dazu hat der Bundesrat am 26.3.2021, Drucksache 167/21 eine Stellungnahme abgegeben und das Vorhaben der Bundesregierung unterstützt.

Die Bundesregierung hat am 13. April 2021 die Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates beschlossen. Die zentralen Anträge des Bundesrates wurden dabei von der Bundesregierung inhaltlich übernommen. Diese Anträge betreffen die Beibehaltung der kostenlosen Probeentnahme sowie die Zuständigkeit für den Online-Handel.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit der Bundestag auf die Stellungnahmen von Bundesrat und Bundesregierung zurückgreift. Angestrebt wird, das Gesetzgebungsverfahren jedenfalls vor der Sommerpause abzuschließen.

Hintergrund:

Am 16. Juli 2019 ist die EU-Marktüberwachungsverordnung (VO 2019/1020) in Kraft getreten. Sie enthält die Marktüberwachungsbestimmungen für den europäisch harmonisierten Non-food-Produktbereich. Erstmalig regelt sie auch den Online-Handel in Bezug auf die Marktüberwachung.

Die Verordnung enthält jedoch keine Marktüberwachungsbestimmungen für den europäisch nicht harmonisierten Non-food-Produktbereich, also insbesondere für Verbraucherprodukte, die nur der Produktsicherheitsrichtlinie (RL 2001/95/EG) unterfallen. Deshalb wurden die relevanten Bestimmungen aus der Verordnung für den nicht harmonisierten Non-food-Produktbereich in das nationale Marktüberwachungsgesetz übernommen.

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Weitere EU-Leitfäden

Die EU-Kommission hat zwei Leitfäden zu Binnenmarktthemen mit Relevanz für den Bereich Maschinen und Anlagen veröffentlicht:

  • Leitfaden zur Anwendung der Verordnung (EU) 2019/515 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2019 über die gegenseitige Anerkennung von Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind
  • Leitfaden zu den Artikeln 34-36 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)

Diese Leitfäden finden Sie hier:

EU-Kommission zum sonstigen Binnenmarktrecht

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Whistleblower Richtlinie (EU) 2019/1937

Die sog. "Whistleblower Richtlinie" aus 2019 muss in den EU-Mitgliedstaaten so umgesetzt werden, dass sie am 17. Dezember 2021 greift.

Diese EU-Richtlinie hat auch Auswirkungen auf die Umsetzung der Produktsicherheitsanforderungen an Maschinen und Anlagen im Unternehmen. Und das sowohl auf der Herstellerseite wie auch auf der Betreiberseite, wo Maschinen und Anlagen Beschäftigten als Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt werden.

Hierzu äußert sich Erwägungsgrund 8 der EU-Richtlinie dezidiert:

"Was die Sicherheit der auf dem Binnenmarkt angebotenen Produkte anbelangt, so lassen sich Beweise in erster Linie in den an der Herstellung und am Vertrieb beteiligten Unternehmen sammeln; Meldungen von Hinweisgebern aus solchen Unternehmen haben somit einen hohen Mehrwert, da sie sich sehr viel näher an Informationen über mögliche unlautere oder illegale Herstellungs-, Einfuhr- oder Vertriebspraktiken im Zusammenhang mit unsicheren Produkten befinden. [...]"

Zu der Richtlinie siehe:

RICHTLINIE (EU) 2019/1937 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
vom 23. Oktober 2019
zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden

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